Wie trinkt man Absinth richtig? Rituale mit der grünen Fee

Es ist ein Getränk, um das sich in der europäischen Genusskulturgeschichte viele Mythen und Rituale ranken: Absinth, auch als grüne Fee bekannt – und berüchtigt. Fast das gesamte 20. Jahrhundert war Absinth sogar verboten, was den kultisch verehrten Anis-Wermut-Schnaps aus Frankreich erst recht zur Legende machte. Mittlerweile kann man wieder ganz legal verschiedenste Absinthe trinken, wie etwa den feinen Löwen Absinth aus dem Bregenzerwald. Deshalb folgen hier alle Infos, wie Absinth richtig getrunken wird – je nach Sorte pur, nach traditioneller Zubereitung, verschiedenen Ritualen oder in Absinth-Cocktails.

 

Absinth trinken – welches Ritual ist „die richtige Trinkweise“?

Bei kaum einem anderem Getränk wird so viel Aufhebens darum, gemacht wie man es trinkt. Einen Absinth zubereiten und trinken kann – je nach Ritual – eine richtige Zeremonie sein. Schriftsteller und Künstler des späten 19. Jahrhunderts (Fin de Siècle) und der frühen 1900er Jahre (Belle Époque, Moderne) zelebrierten den Absinth-Genuss im Alltag und teils auch bei der kreativen Arbeit. Zahlreiche Kunstwerke dieser Zeit stilisieren die Inspiration durch Absinth als grüne Fee und Muse, dem populären Mythos zufolge soll der damals im Vergleich zu heute hohe Gehalt an Thujon im Absinth halluzinogene Wirkungen ausgelöst haben.

In den Bars und eleganten Salons Frankreichs standen Absinth-Fontänen auf den Tischen und nicht nur die Künstler und Szenegänger frönten der grünen Fee. Absinth trinken war ein elementarer Bestandteil der Genusskultur, auch in der französischen Schweiz. Doch nicht zuletzt der Mythos vom psychoaktiven Absinth machte Absinth auch zur Zielscheibe von Abstinenz- und Prohibitions-Kampagnen. Spätestens mit den Verboten in fast allen europäischen Ländern geriet Absinth in Verruf – und das Wissen darüber, wie man Absinth richtig trinkt, in Vergessenheit.

Absinth pur trinken? Alkoholgehalt, Trinktemperatur und Verdünnung

Lediglich in Portugal und Spanien war Absinth noch erlaubt, seine Zubereitung und die entsprechende Trinkkultur allerdings nicht mehr so intensiv und aufwendig gepflegt. In Frankreich wurde der Absinth nahtlos vom Pastis abgelöst. Was man bei der heutigen Bedeutung von Pastis gar nicht glauben mag: Tatsächlich wurde Pastis überhaupt erst als Ersatzprodukt (namentlich im Französischen angelehnt an „pastiche“ = Nachahmung) für Absinth erfunden – unter Verzicht auf Wermut und Thujon, wobei als den Geschmack am meisten prägende Zutat Anis übrig blieb. Somit wandelte sich auch die Art, wie Absinth zubereitet und getrunken wird. Neue Absinth-Sorten, die nach der Legalisierung entstanden sind und sich eher an Pastis orientieren, können je nach Geschmack auch pur verkostet werden.

War der klassische Alkoholgehalt von Absinth früher bei 68–69 % vol., so gibt es heute verschiedene Sorten, die weniger – oder auch mehr – Alkohol enthalten. Möchte man Absinth pur trinken, sollte man eine Sorte wählen, deren Alkoholgehalt unter den traditionellen 68 % liegt. Wie Pastis kann ein Glas Absinth pur und ungekühlt als Aperitif gereicht werden, wobei dazu stets eine Karaffe mit Eiswasser serviert wird. Ob man den Absinth pur und ungekühlt probiert oder doch lieber mit dem Eiswasser verdünnt und abkühlt, bleibt dann dem eigenen Geschmack überlassen. Der pure ungekühlte Genuss von Absinth gilt eher dem Verkosten, wobei der eigentliche Geschmack sich oft auch erst in der Verdünnung voll entfaltet.

Nach Zugabe von Wasser wird die Farbe vom Absinth milchig-weiß

Als Richtwert gilt, dass Absinth traditionell in Mischungsverhältnissen von 1:3 oder 1:4 mit Wasser verdünnt. Ist der Alkoholgehalt höher als die klassischen 68 % vol., sollte man mehr Wasser verwenden. Bei Absinth mit weniger Alkohol kann entsprechend weniger verdünnt werden. Allerdings sind in Frankreich auch bei Pastis und Absinth mit geringerem Alkoholgehalt (etwa 45-55 % vol.) Verdünnungen mit der fünf- bis siebenfachen Menge Wasser durchaus üblich. Stärkere Mischungen mit 1:1 oder 1:2 sind lediglich in Marseille gängig.

 

Mit was trinkt man Absinth: Zucker, Wasser, Feuer oder ...Milch?

Kann Absinth trinken so einfach sein, dass man ihn lediglich je nach Geschmack und Alkoholgehalt mit eiskaltem Wasser mischt? Natürlich kann es so einfach sein. Dennoch gibt es teilweise fast ideologische Debatten über die Frage, wie man Absinth richtig trinkt. Das hängt damit zusammen, dass verschiedene Trinkrituale für Absinth überliefert sind, die sich auf verschiedene Traditionen, Absinth-Sorten und teils auch schlicht auf Moden beziehen – und nach denen es unterschiedlich kompliziert wird, Absinth zuzubereiten und zu servieren.

Neben dem Alkoholgehalt spielt der Zuckergehalt der jeweiligen Absinth-Sorte eine wichtige Rolle, denn in vielen Absinth-Ritualen kommen auch Zuckerwürfel zum Einsatz. Darüber hinaus kann dem Absinth trinken auch eine Feuershow mit karamellisiertem Zucker vorangehen – oder der Absinth als prägende Zutat in Cocktails und Longdrinks verwendet werden. Hier werden zunächst die verschiedenen überlieferten Absinth-Rituale aus Frankreich, der Schweiz und Tschechien vorgestellt und anschließend die Frage geklärt, mit was man Absinth mischen kann – abgesehen von Zucker und Wasser.

 

Das traditionelle französische Absinth-Ritual mit Zucker und Wasser

Wer Absinth richtig trinken möchte – im Sinne von: so, wie es die Franzosen in der Hochzeit des Absinthes vor 100 bis 150 Jahren getan haben – braucht folgendes Zubehör:

  • ein Absinth-Glas (meist mit kunstvollen Ornamenten, Fassungsvermögen: etwa 150–200ml)
  • ein Absinth-Löffel (meist aus dünnem Metall, mit Stielen auf beiden Seiten und kleinen Löchern) oder ein Brouilleur (wörtlich: Mischer/Trüber; ein Gefäßaufsatz, meist aus Glas, Metall oder alter Keramik, wie ein Sieb oder ein Trichter mit sehr schmaler Öffnung)
  • ein Stück Würfelzucker (oder auch mehr)
  • eine Absinthe-Fontaine (großer, oft verschnörkelter Wasserbehälter aus Glas, mit einem Zapfhahn oder mehreren kleinen Tropfhähnen) mit eiskaltem Wasser.

Hat man all das nicht, kann man auch ein normales Glas und einen normalen Getränkespender oder eine Karaffe verwenden und für den Zucker auf einen normalen Löffel oder ein kleines Sieb zurückgreifen.

Das französische Ritual, Absinth zuzubereiten, funktioniert dann wie folgt:

  1. Absinth in das Glas füllen.
  2. Zuckerwürfel auf einem Absinthlöffel oder einem -Brouilleur auf dem Glas platzieren.
  3. Mit möglichst kaltem Wasser langsam (tröpfchenweise) den Zucker begießen, sodass er sich auflöst und durch die Löcher des Absinth-Löffels oder -Brouilleurs in den Absinth fließt.
  4. Absinth trinken, wenn der Zucker aufgelöst ist und der Absinth seine Farbe geändert hat – von klar (und grün- oder andersfarbig) zu milchig-weiß.

Der Grund für das aufwändige Zubereitungsverfahren für ein Glas Absinth ist, dass durch die langsame Zugabe des kalten Wassers der Louche-Effekt besonders gut funktioniert. Dabei lösen sich die ätherischen Öle des im Absinth enthaltenen Anis und anderer Kräuter wie Fenchel, Minze, Koriander oder Melisse vom Alkohol und bilden winzig kleine Tröpfchen. Bei dem auch „spontane Emulsionsbildung“ oder „Opalisierung“ genannten Phänomen handelt es sich optisch um eine Trübung, die sich Tropfen für Tropfen wie ein Schleier über den Absinth legt. Auch geschmacklich ändert sich das Getränk, da die Aromen der ätherischen Öle sich in Wasser anders entfalten als in Alkohol. Am Louche-Effekt kann man den Anis-Gehalt des Absinths sehen: Absinth-Sorten mit weniger Anis haben einen schwächeren Louche-Effekt.

Traditionelles Schweizer Absinth-Ritual: mit Wasser, ohne Zucker

Sehr nah verwandt mit der französischen Absinth-Trinkweise ist das Absinth-Ritual der Schweiz. Vor allem in der französischen Westschweiz war Absinth ebenso beliebt und weit verbreitet wie in Frankreich. Einer der wenigen Unterschiede zwischen der Schweizer und der französischen Absinth-Kultur war traditionell, dass in Schweizer Absinth von vornherein mehr Zucker enthalten war. So unterscheidet sich die Schweizer Art, Absinth zu trinken seither darin, dass man auf den Zuckerwürfel verzichtet. Dennoch wird das Wasser tröpfchenweise zum Absinth gegeben und die Absinth-Zubereitung ansonsten genauso zelebriert wie im französischen Trinkritual.

 

Absinth anzünden? Das böhmische Absinth-Ritual mit Zuckerflamme

Das von tschechischen Absinth-Herstellern und der innovativen Bar-Szene Prags entwickelte Ritual, Absinth anzuzünden, hat deutlich weniger Tradition als die Schweizer oder die französische Absinth-Trinkweise. Allerdings lehnt auch dieses sich an die herkömmliche französische Zubereitung an. So kann ebenfalls ein Absinth-Löffel mit Löchern und ein Zuckerwürfel verwendet werden.

Die tschechische Art, Absinth zu trinken:

  1. Absinth-Löffel mit Zuckerwürfel auf ein Glas legen.
  2. Absinth über den Zuckerwürfel in das Glas gießen.
  3. Den alkoholgetränkten Zuckerwürfel anzünden und in das Glas schmelzen lassen.
  4. Gegebenenfalls mit kaltem Wasser löschen/verdünnen.

Böhmisches Absinth-Ritual mit Zuckerflamme

Hat man keinen Absinth-Löffel, so kann man die tschechische Methode auch mit einem normalen Löffel praktizieren. Dazu tränkt man den Zuckerwürfel einfach im bereits eingeschenkten Absinth und zündet ihn über dem Glas an.

Die verschiedenen Rituale, bei denen der Absinth angezündet wird, sind mit absoluter Vorsicht zu genießen. So kommt es bei hochprozentigem Absinth oft vor, dass die Flamme vom Löffel auf das Glas überspringt. Hitzebeständige Gläser sind also Grundvoraussetzung für dieses Absinth-Ritual, das mehr auf Show-Effekte als auf authentischen Absinth-Geschmack abzielt.

Absinth kaufen – unsere Empfehlungen:

 

Absinth mischen: Cocktails, Longdrinks und die warme Variante

Absinth und Milch hängen also vor allem dadurch zusammen, dass die grüne Fee nach der richtigen Zubereitung durch den Louche-Effekt fast so aussieht wie Milch. Doch kann man Absinth auch mit Milch mischen? Bevor wir das gewöhnungsbedürftige, aber spannende Rezept für warme Milch mit Absinth vorstellen, schauen wir uns einige klassische Cocktails mit Absinth an – und probieren verschiedene Mischgetränke für Absinth in Longdrinks aus.

 

Absinth-Cocktails und Cocktails mit einem Absinth-Twist

Einer der bekanntesten Cocktail-Klassiker mit Absinth als Zutat ist der Sazerac. Er gilt als einer der ältesten Cocktails überhaupt und ist dementsprechend Mitte des 19. Jahrhunderts zunächst in New Orleans lediglich eine Variante dessen, was seinerzeit „Cocktail“ genannt wurde und heute „Old Fashioned“ heißt: Spirituose (ursprünglich meist Cognac/Brandy, nach der Reblaus-Plage zunächst Rye, später dann Bourbon Whiskey), Zucker, Wasser/Eis, Bitter. Das Besondere am Sazerac ist, dass das Glas, in dem der Drink serviert wird, vorher mit Absinth benetzt wird.

Der Absinth-Twist „Sazerac Style“:

Während man im Rührglas die herkömmlichen Old Fashioned Zutaten (ohne Eis!) mischt, kühlt man das Gästeglas mit Eiswürfeln und einem Spritzer Absinth. Bevor man nun den Drink in das Gästeglas abseiht, wird jedoch das Eis samt Absinth und Schmelzwasser ausgeleert . Es bleibt ein Hauch von Absinth, der auch ausreicht, um den Geschmack des Cocktails entscheidend zu prägen. Dieser Twist heißt auch „Sazerac Style“ und kann bei vielen anderen Cocktails angewandt werden – etwa für eine entsprechend parfümierte Martini-Variante.

Death in the Afternoon – ein Absinth-Cocktail-Rezept nach Ernest Hemmingway

Ein weiterer Klassiker unter den Absinth-Cocktails gehört zu denjenigen von Ernest Hemingway persönlich selbst erfundenen, hymnisch in seiner Literatur beschriebenen und wohl durchaus auch gern genossenen Drinks – und setzt voll und ganz auf den Louche-Effekt. Anstatt kaltem Wasser sorgt beim Death in the Afternoon allerdings Champagner für die Trübung – des Absinths und anschließend der Sinne.

Das einfache Rezept für den bedrohlich benannten Cocktail: Absinth in ein Champagnerglas oder eine Sektflöte gießen und vorsichtig mit Champagner auffüllen.

Absinth Sour: The Green Beast Cocktail

Eher selten spielt Absinth die Hauptrolle in Cocktails, doch die grüne Fee kann natürlich auch nach Art eines klassischen Sour Cocktails serviert werden. Das vielleicht bekannteste Absinth-Sour-Rezept wurde 2010 von Charles Vexenant für Pernod Ricard entwickelt, mit Gurkenscheiben ergänzt und The Green Beast genannt . Klingt logisch: Wenn die grüne Fee sauer ist, wird sie wie Hulk zu einem grünen Biest.

Für ein Glas nimmt man 2–3 Scheiben geschälter Gurke und zerdrückt sie mit etwa 2cl Zuckersirup in einem Longdrink-Glas. Dann füllt man Eiswürfel und je 2cl Absinth und frisch gepressten Limettensaft hinein, gießt mit kaltem Wasser auf, rührt den Drink und garniert das Glas vor dem Servieren mit weiteren Gurkenscheiben.

Noch besser als in einzelnen Gläsern kommt Green Beast in rauen Mengen als Absinth-Bowle oder Absinth-Punsch zur Geltung. Als Richtwert gilt das Rezept mit je einem Teil Absinth, frischem Limettensaft und Zuckersirup und vier Teilen Wasser, viel Eis und viel Gurkenscheiben.

Longdrink mit Absinth

Longdrinks mit Absinth: mit Tonic, mit Saft oder mit Cola

Da der Geschmack von Absinth sehr intensiv mit Anis, Fenchel, Wermut und weiteren hocharomatischen Kräutern dominiert, ist es keine einfache Sache, geeignete Mischgetränke mit Absinth zu finden. Dennoch gibt es ein paar Longdrink-Varianten, in denen Absinth nicht nur mit Wasser, sondern einem geschmacklich angepassten Mixpartner vereint wird

  • Absinth Tonic ist die einfache Mischung aus etwa 2–3cl Absinth und 150–200ml Tonic Water, die je nach Absinth und Tonic auch mit Zuckersirup gesüßt, sowie mit Zitronensaft und Botanicals weiter verfeinert werden kann. Lou Serafini aus dem Pariser Hotel Le Burgundy empfiehlt, etwas Dill über den Absinth mit Tonic zu streuen; wir empfehlen als zu Absinth passendes Tonic Water Gents Swiss Roots Tonic.
  • Absinth & Juice ist ein simpler Longdrink, in dem man Absinth mit Fruchtsaft aufgießt. Das Prinzip funktioniert sehr gut in den Varianten Absinth Maracuja und Absinthe Orange – oder einer Mischung aus beidem. Wir empfehlen ein Mischungsverhältnis von 5cl Absinth mit 10–15cl Fruchtsaft.
  • Absinth Cola könnte Verfechter der ein oder anderen Art, wie Absinth richtig getrunken wird, vielleicht noch mehr verstören, wie die bisher genannten Absinth-Mischgetränke. Doch erstens halten wir traditionell nicht viel von Spirituosen-Purismus. Und zweitens gibt es ja hochwertige, mit natürlichen Zutaten aromatisierte Colas, deren Geschmack entscheidend auf Beifuß- und anderen Kräutern basiert. Das Cola-Kraut schlechthin, die Kampfer-Eberraute („Artemisia camphorata“), ist etwa eine sehr nahe Verwandte des Absinth-Krauts Wermut („Artemisia absinthum“). Und so ist es weder Zufall noch Panscherei, dass die mit der argentinischen Spezialität Fernet Cola verwandte Mischung aus Absinth mit Cola einfach gut schmeckt.

Jetzt noch 1 Absinth mit Milch – und dann ab ins Bett

Zum Ende aller Varianten, wie man Absinth trinken kann, kommt noch eine warm servierte Absinth-Variante, oder besser gesagt: eine mit Absinth verfeinerte Variante von heißer Milch mit Honig. Trotz des Louche-Effekts und der damit verbundenen Tatsache, dass mit kaltem Wasser verdünnter – oder auch zu kalt gelagerter – Absinth milchig wird, scheint die Idee zunächst komisch: den Anis-Geschmack von Absinth mit Milch kombinieren?

Doch auch hier kann ein Selbstversuch alle Zweifel beseitigen. Die wohlige Wärme der honiggesüßten Milch wird aufgepeppt und angespitzt durch die ätherischen und Lakritz-artigen Noten des Absinths – ein Geschmackserlebnis, das Absinth-Fans und alle, die Anis mögen, auf jeden Fall probiert haben sollten.

 

 

À votre Santé!