Schnaps: Pur oder Mixen?

Für manche eine harmlose Frage, für andere eine offene Provokation: Darf man Schnaps mischen? Oder muss man Obstbrand, Whisky, Grappa & Co. immer und ausschließlich pur trinken?


Die kurze Antwort: Klar darf man

Spirituosen sind ein Genussmittel und sollten darum auch so genossen werden, wie es den eigenen individuellen Geschmacksvorlieben entspricht. Niemand kann einem darüber Vorschriften machen, wie man den eigenen Schnaps zu konsumieren hat. Puristen rümpfen beispielsweise gerne die Nase über Menschen, die ihren Whisky „panschen“. Dabei ist die Praxis, hochprozentigen Alkohol durch die Kombination mit anderen Getränken oder Wasser zu „entschärfen“, so alt wie die Kunst der Destillation selbst.

Die lange Antwort: Das war schon immer so

Kommen wir also zur etwas längeren Antwort auf die Frage, ob man Spirituosen mischen darf. Historisch betrachtet ist die Vorstellung, hochwertiger Alkohol müsste möglichst pur genossen werden, nämlich eine recht neue Entwicklung. Verantwortlich für den Wandel vom Misch- zum Purgenuss sind neben veränderten Trinkgewohnheiten und -ritualen vor allem die verbesserte Technik im Brennereihandwerk. Schnaps ist heute schlichtweg milder und damit auch pur angenehmer zu trinken, als er das noch vor hundert Jahren war. Als Hochprozentiges sich in der frühen Neuzeit als Alternative zu Bier und Wein in den europäischen Gesellschaften zu etablieren begann, traten Schnaps, Whisky, Rum & Co. ihren Siegeszug noch als Mischgetränke an.

Whisky begann seine Karriere als Punsch und Likör

Whisky war mal Punsch

Das beste Beispiel dafür ist der edle Scotch. Wussten Sie, dass der schottische Adel seinen Usquebaugh (so hieß Whisky ursprünglich) als Punsch zu servieren pflegte? Ein Rezept aus dem Jahre 1757 empfiehlt unter anderem die Beimischung von Zimt, Ingwer und Koriandersamen und das Süßen mit Zucker (A. Cooper, The Complete Distiller). Aus Irland ist dieses Rezept von 1829 erhalten:

„Auf zwei Quart Whisky ohne rauchigen Geschmack gebe man ein Pfund Rosinen, eine halbe Unze Muskatnuss, eine Viertelunze Gewürznelken und dieselbe Menge Kardamom und zerstoße alles im Mörser. Nun nehme man die Schale einer Pomeranze, reibe sie auf mehrere Zuckerstücke und ein halbes Pfund braunen Kandiszucker. Man schüttle den Aufguss vierzehn Tage lang täglich und seihe ihn danach ab…" ( Meg Dods, The Cook and Housewife's Manual)

Das Mischen und Verdünnen von Whisky und seinen verschiedenen Vorstufen stand in Schottland und Irland an der Tagesordnung. Purgenuss galt der feinen Gesellschaft als roh und unzivilisiert. Ein Grund dafür dürfte allerdings auch in der erzielten Qualität der Destillate liegen – mit einem modernen Single Malt, der fachmännisch im Pot-Still-Verfahren gebrannt und danach für zwölf oder mehr Jahre in Holzfässern gelagert wurde, hatten die Brände des 18. und 19. Jahrhunderts nämlich noch nicht viel gemeinsam. Denn auch wenn gerade schottische Destillerien sich gerne mit der Patina von Tradition und Historie schmücken, hat sich die Brenn- und Reifetechnik seit der Frühphase des Whisk(e)y nachhaltig verbessert. Vielleicht hätte ja ein frühneuzeitlicher schottischer Lord einen milden Speyside Single Malt wie den Cardhu 12 auch pur schätzen gelernt.

Gin selbst ist schon ein Mischgetränk aus verschiedensten Botanicals

Gin hat als Süßungsmittel begonnen

Heute schwer vorstellbar, aber wahr: Gin wurde als Süßungsmittel für Medizin zum globalen Phänomen. Weil das in Indien zum Schutz vor Malaria getrunkene chininhaltige Tonic Water pur ausgesprochen bitter schmeckte, fügten britische Kolonialbeamte und -soldaten ihrer Medizin Gin hinzu, um sie trinkbarer zu machen. Der damals vor allem in der Royal Navy populäre Old Tom Gin war übrigens von Haus aus gesüßt und eignete sich darum vorzüglich zur geschmacklichen Verbesserung bitterer Getränke. Auf diese Kombination geht der bis heute weltweit getrunkene Standard-Drink Gin and Tonic zurück, auch wenn neuerdings statt Old Tom eher der ungesüßte London Dry Gin verwendet wird.

Schnäpse und Edelbrände aus Obst stellen regionale Schätze dar

Und wie ist es mit Rum, Grappa & Obstbrand?

Auch hier traditionelle Mischungen, wohin man blickt. Rum ist heute wahrscheinlich das Bargetränk schlechthin und ist der Star in einer unüberschauberen Vielzahl beliebter Cocktails, auch wenn für die klassischen karibischen Cocktails häufig der günstigere weiße Rum anstelle des schweren und oft lange gereiften dunklen Rums verwendet wird. Historisch wurde Rum vor allem von Seemännern getrunken – allerdings nicht pur, sondern gemischt mit Wasser, Zucker und manchmal auch Limetten als Grog, der in vielerlei Hinsicht einen Vorläufer moderner Cocktails darstellt. Auch für Grappa gibt es viele Cocktail-Rezepte, die oft deutlich älter sind als die recht neue Entwicklung des italienischen Tresterbrands zur Edelspirituose.

Selbst bei den traditionellen Obstschnäpsen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz gibt es immer wieder neue Ansätze, unkonventionelle Cocktails mit Williamsbrand oder Kirschwasser zu etablieren – mit gemischtem Erfolg.


Fazit: Man darf - aber muss man deshalb auch?

Gerade in Genussdingen sollte man sich nicht an Vorschriften gebunden fühlen. Trinken Sie ihre Spirituosen so, wie sie Ihnen schmecken. An diese Stelle gehört darum auch ein persönliches Geständnis: Ich selbst trinke meinen Scotch trotz aller historischen Belegstellen trotzdem am liebsten pur, bei Fassstärke gerne auch mit ein wenig Wasser versetzt. Hie und da kommt ein günstiger Single Malt mit gutem Ginger-Ale und Eiswürfeln ins Glas, vielleicht noch mit einem Spritzer Limettensaft. Aber wenn ich eine neue Spirituose kennenlernen will, mich zum ersten Mal an einen spannenden Grappa herantaste oder herrlich duftenden Williams-Schnaps probiere, dann will ich mich an das Getränk herantasten, so wie es pur und unverfälscht schmeckt.

Dominique Marze


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