Apfel-Ernte auf der Streuobstwiese

Heute bleibt der Laptop zu, das W-Lan aus und selbst das Smartphone lasse ich Zuhaus. Heute habe ich frei und ich gönne mir eine große Portion Frischluft an einem der letzten spätsommerlichen Tage des Jahres. Ich fahre raus in die Wiesen. Nicht auf die Bier-Wiesn in München, sondern in eine der berühmten Streuobstwiesen in Oberschwaben.

Ein Stück unberührter Natur hätte ich fast geschrieben, aber nur fast. Denn ganz unberührt ist das Land natürlich nicht. Vielmehr wird hier noch eine sehr alte Form des Obstanbaus betrieben, die einer Vorstellung von perfekter Harmonie zwischen menschlicher Nutzung und natürlichem Lauf der Dinge unglaublich nahe kommt. Unzählige so genannte Hochstamm-Obstbäume stehen hier bunt verstreut am leicht abschüssigen Gelände, ich kann an einem kleinen Feldweg mein Fahrzeug abstellen und hinein spazieren, sodass ich bald vor lauter Bäumen fast einen Wald zu erkennen glaube.

 

Schöner kann Obstanbau nicht sein

Noch vor 40 oder 50 Jahren waren fast alle Dörfer von solchen breiten Grüngürteln umgeben, weit und breit nur hochwachsendes Gras um Obstbäume herum. Schon die Römer sollen kultivierte Obstbäume mitgebracht haben, spätestens seit dem Mittelalter ist der gezielte Anbau Früchte tragender Bäume durch Mönche überliefert. Heute ist aber nicht mehr die Streuobstwiese sondern die Plantage die gängigste Form des Anbaus, wo die Bäumchen in Reih' und Glied nur noch auf hohen Ertrag getrimmt werden.

Zwar sehen auch diese großen Plantagenfelder imposant aus, aber mir gefallen die Streuobstwiesen besser. Die Pflanzen des Plantagenanbaus erinnern an Weinstöcke, die Bäume hier in der Wiese erinnern mich an die Obstbäume meiner Kindheit. Knorrig und breit verästelt mit starken Verzweigungen bis in die Baumkrone. Hier wandere ich gerne durch das Wechselspiel aus Licht und Schatten und freue mich, noch einen Spätnachmittag erwischt zu haben, an dem die Sonne so glitzernd warm durch die Wipfel hindurchschimmert.

Hier kann ich den Apfel direkt vom Baum essen. Hier ist nichts gespritzt, keine Pestizide werden verwendet. Ich greife zu, der von mir ausgewählte Apfel lässt sich leicht abpflücken, sieht herrlich reif aus mit roten Pausbäckchen. Ein herzhaftes Knacken ertönt beim Biss, ein Stück löst sich zwischen den Zähnen vom Rest des Apfels und das saftige, helle Fruchtfleisch kommt zum Vorschein. Leichte Säure und fruchtige Süße fließen saftig über meine Zunge. Ich bin glücklich.

 

Leider haben die Zeiten sich geändert

Früher war die Streuobstwiese für den Landwirt die eierlegende Wollmilchsau unter den Nutzflächen. Die heimische Ernte war noch viel wert und musste nicht so sehr mit riesigen Obstplantagen in Süd- und Osteuropa oder billigem Tafelobst aus China konkurrieren. Um die Bäume herum war genug Platz, auf dem nebenbei noch Vieh weiden oder Heu geerntet werden konnte. Mit der Zeit wurde die traditionelle Slow-Food-Anbauform allerdings immer weniger rentabel und die meisten Streuobstwiesen mussten dem Flächenfraß von Industrie- und Neubaugebieten weichen. Als Bauland brachten die alten Wiesen mehr Geld ein als in der weiteren Bewirtschaftung und Abermillionen Streuobstbäume wurden zugunsten von grauem Beton abgeholzt.

 

Die letzten Streuobstwiesen – was passiert mit all dem Obst?

Ich werfe den halb gegessenen Apfel in die Wiese zu dem schon schön vor sich hinfaulenden Fallobst. Hier gibt es Äpfel im Überfluss. Es lohnt sich nicht mehr, alles abzuernten. Doch für zahlreiche Tiere bietet dies reichlich Futter wobei die ganze Wiese mitsamt den alten Bäumen ohnehin ein hervorragender Lebensraum ist. Auf 5000 verschiedene Tier- und Pflanzenarten wird die Vielfalt in Streuobstwiesen geschätzt. Draußen, auf den landwirtschaftlich genutzten und gedüngten Feldern, sieht man im Frühsommer immer nur noch gelb vor lauter Löwenzahn und Butterblumen. In den naturbelassenen Wiesen zwischen den Bäumen, wo Schatten und Sonne sich stetig abwechseln, wachsen dagegen zahlreich die verschiedensten Wiesenblumen.

Ein Paradies für die fleißigen und wertvollen Bienen, denen sonst überall das Leben so schwer gemacht wird und die so wichtig sind für unser Ökosystem. 85 % aller landwirtschaftlichen Erträge aus Pflanzen- und Obstbau sind von Bestäubung durch Bienen abhängig. Diese Streuobstwiese mit ihrem reichhaltigen Nektarangebot hilft mit, Wildbienen und Hummeln genug Nahrung und auch Unterschlupf zu bieten. Sogar vom Fallobst naschen die Bienen, wenn es über 50 % Zucker enthält. Die hier lebenden Völker können dann auch anderen Nutzpflanzen in der Umgebung zugute kommen.

 

Unsere Empfehlungen vom Hochstamm-Obst:

Ich wünschte, ich würde mich für Vögel interessieren

Auch viele bedrohte Vogelarten finden in den Streuobstwiesen ein Zuhause, wie zum Beispiel der Wiedehopf, der gerne in den alten Baumbeständen nistet. Leider habe ich kein ornithologisches Buch dabei und erkenne ohne Hilfsmittel nur noch Maisen am Aussehen. „Amazonasgebiete Baden-Württembergs" werden die wenigen verbliebenen Streuobstwiesen hier aufgrund der Artenvielfalt auch genannt. Doch seit 1950 wurden 70 % bereits abgeholzt. „Mosttrinker sind Naturschützer," heißt es deshalb, da das Vermosten eine der wenigen noch praktizierten Verarbeitungsformen der alten Apfelsorten hier ist. Doch auch jedes Glas Saft oder Schnaps vom Streuobst trägt dazu bei, dass die alten Obstbäume erhalten werden können.